Schöne Jugend?

Ich möchte heute kein Heranwachsender mehr sein. Diese Aussage hat natürlich einen Haken: ist man in diesen Zeiten dabei heranzuwachsen, sind all die Dinge, die es „damals“ noch nicht gab, absolut alltäglich. Für die Kinder und Jugendliche ist diese Welt, so wie sie ist, völlig normal.

Dennoch, mit einem gewissen Abstand betrachtet, möchte ich heutzutage kein Jugendlicher sein. Die Welt hat sich schon arg verändert.

Wenn man bedenkt, dass Jugendliche lieber auf virtuellem Wege, als über den „echten“ Mensch-zu-Mensch-Kontakt kommunizieren, ist das schon so ein Zeichen, das bitter aufstoßen lässt. Liest man dann noch, dass die Kinder immer mehr vorm Computer hocken und zocken, finde ich das zusätzlich erschreckend. Dabei wollen wir uns an dieser Stelle nicht wieder zur derzeit — turnusgemäßen — Hetzkampagne Diskussion zu „Gewalt in Computerspielen“ auslassen. Kinder sehen in so manchem „Ballerspiel“ eh nur einen „Cool-„Faktor für den Moment. Auf den Gedanken, auch im realen Leben mit einer Schusswaffe durch die Lande zu ziehen, kommen die in der Regel nicht. Aber es ist bekanntlich schön einfach, alles, was man nicht versteht, in einen Topf zu werfen. Wenn es dann auch noch Klicks oder Einschaltquoten beschert, wird eben das eine oder andere unkritische Vorurteile schnell rausgehauen. Die Leser wollen es lesen, die Zuschauer sehen und beide fühlen sich in ihrer Unkenntnis gut verstanden: „Habe ich mir doch auch so gedacht!“

Doch zurück zum Zocken und Hocken. Nicht das „Was“ steht in der Kritik, sondern das „Wie lange“. Einer Studie zufolge, so berichtet ein Nachrichtenmagazin, sitzen 15-jährige Jungen hierzulande immer länger vor dem Rechner und spielen Online-Rollenspiele, im Schnitt 3,9 Stunden pro Tag. Jeder sechste Junge gar bis zu 4,5 Stunden täglich. Weiter ist die Rede von 14.000 Neuntklässlern, die von dem Spiel abhängig sein sollen, das sind 8,5 Prozent der Spieler von World of Warcraft.

Im guten alten „Damals“ sind wir nach der Schule raus gegangen und haben uns spielerisch bekämpft, haben uns schmutzig gemacht, körperlich ausgelaugt und waren später angegrätzt, wenn es zum Abendessen wieder rein ging. Heute spielt sich alles vorm heimischen Rechner ab, unter dem sicheren Dach der Eltern, „sauber“. Irgendwie schade. Schade übrigens auch, dass Kinder heutzutage oftmals gar nicht mehr „mal so eben“ raus gehen können. Es muss möglichst ein Erwachsener dabei sein, um aufzupassen. Selbst bei 13- und 14-Jährigen. Schnell mal in den Wald? Nicht mehr möglich. Doch das ist wieder eine andere Diskussion.

In Sachen Spieldauer kommt die Frage auf, wie sich die Jungen und Mädchen — die ebenfalls online spielen — überhaupt das Online-Rollenspiel leisten können? Immerhin kostet der Spaß beinahe 13 Euro pro Monat, die auch nicht direkt aus dem Sparschwein zum Anbieter gebracht werden, das muss per Kreditkarte oder Lastschriftverfahren erfolgen. Welcher Neuntklässler hat eine Kreditkarte? Die Eltern, die, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, von nichts gewusst haben wollen — müssen sehr wohl Kenntnis von dem Spielgebaren des Nachwuchses haben. Oder werden Dauerüberweisungen heutzutage kritiklos für den Nachwuchs eingerichtet? Findet keine Auseinandersetzung mehr zwischen Eltern und Kindern statt? Oder sind die Eltern einfach froh, wenn der Spross ruhig im Zimmer hockt, egal wieso!?

Einzige Möglichkeit, von der elterlichen Kreditkarte unabhängig zu sein, ist die Pre-paid Gametimekarte: knapp 27 Euro für 60 Tage. Aber auch hier muss das Geld irgendwoher kommen, zumindest sollte aber doch eigentlich auffallen, dass Junior im Schnitt beinahe vier Stunden vorm Rechner sitzt …

Zwar hat der Anbieter eine Funktion namens „Elterliche Freigabe“ eingebaut, doch wenn die Eltern mit dem Rechner und „diesem Internet“ nicht vertraut sind, nützen einem solche Einstellungsmöglichkeiten herzlich wenig. Wenn sie niemand einstellt. (Mal davon abgesehen, dass der Junior bestimmt sowieso eine Möglichkeit findet, die Einstellungen zu umgehen …)

World of Warcraft wurde um die elterliche Freigabefunktion erweitert, um Eltern die Möglichkeit zu geben, die Spielzeit ihrer Kinder besser zu beaufsichtigen. Eltern können über einen Zeitplan festlegen, wann ihre Kinder sich in das Spiel einloggen dürfen und wann nicht.

Und sollten die Eltern wissen, wie es geht — nicht alle Erziehungsberechtigten sind Computer-Analphabeten — scheinen sie 4,5 Stunden als angemessene „kinderfreie Zeit“ anzusehen, was bedenklich ist.