Vom Tsunami und dem Umgang damit

Gestern früh hörte ich es im Radio, die Nachricht über das Erdbeben in Japan und den daraus resultierenden Tsunami, auch Flutwelle genannt. Das Erdbeben habe eine Stärke von ca. 8 gehabt, Zahlen zu Toten oder Verletzten wurden so früh noch nicht genannt.

Im Grunde hätte mir das als Nachricht gereicht. Ja, das ist schlimm — keine Frage, aber muss man jedes weitere Detail bis ins Kleinste mitbekommen? Als medialer Mensch nimmt man heutzutage Informationen über viele Kanäle wahr. Und was mir hier an Informationen geboten wurde, glich ebenfalls einer Flutwelle. Mein Twitter-Client brummte mit Nachrichten über die Tragödie in Japan. Die Details wurden immer deutlicher. Es wurde dort, aber auch in Facebook wie wild verlinkt auf Seiten, die live dabei waren.

Warum? Warum stürzten sich auf einmal alle auf diese Nachricht und wollten hautnah dabei sein? Gebt uns noch einen Link zu einer Seite, die Bewegtbilder von der Katastrophe zeigen. Wir wollen sehen, wie Autos, Häuser und Menschen von der Flutwelle erfasst werden. Dann heißt es: „Hast Du das gesehen? Einfach weggespült. So grausam … Ich kann da gar nicht hinschauen.“ Und doch machen sie es.

Früher hätte die Nachricht, dass etwas Schlimmes passiert ist, ausgereicht. Am nächsten Tag hätte man in der Zeitung ein, vielleicht zwei Bilder davon gesehen und man wäre informiert gewesen, man hätte sich an den Kopf gefasst, festgestellt, wie schrecklich das sei und man wäre froh gewesen, dass man nicht davon betroffen wäre. Aber heute? Am anderen Ende der Welt geschieht eine Katastrophe und hier wollen die Menschen jeden Tropfen Information haben, den es zum dem Thema gibt. Sofort. Gebt uns Filme! Mehr Filme! Wir wollen dabei sein!

Ein wenig aus dem Zusammenhang gerissen, aber diese Passage von Heinz Rudolf Kunzes „Ich bin gegen den Frieden“ fällt mir dazu ein:

(…) gemeint ist damit allerdings, daß das breite Publikum Blut sehen will,?Hilferufe hören, sich in Strahlen aalen.

Wobei gerade der letzte Abschnitt mit Blick auf das aktuelle Geschehen in Japan äußerst sarkastisch wirkt. Bedingt durch die Wassermassen sind Atomkraftwerke bedroht, laut Medien ist das Dach des AKWs in Fukushima bereits eingestürzt. Ob es zu einer Kernschmelze kommen, ist bis jetzt noch nicht gewiss.

Es ist schrecklich, dass mit zweierlei Maß gemessen wird, aber so ist die Welt — jedoch nicht mehr in diesen medialen Zeiten. Erst wurde sich auf die Toten, die Ertrunkenen, die Geschädigten gestürzt. Immer schön mit der Kamera drauf und die Schafe haben alle retweete und gepostet. Eine seltsame Art des Voyeurismus ist das. Die Menschen schauen zu, wie andere leiden und zeigen es all ihren „Freunden“ und Followern. Warum?

Wohingegen eine Atomkatastrophe eine andere Sache ist. Hier ist nicht die Naturgewalt im Mittelpunkt, hier sehen wir, wie etwas, das der Mensch gebaut hat und das einige immer noch als sicher preisen, in sich zusammenfällt und Menschenleben bedroht.

Ich habe Verständnis für die Berichterstattung über die Gefahren der Atomkraft, wenn durch die Berichte auf selbige hingewiesen wird. Aber warum muss man wie beim Tsunami das Leid der Menschen mit darauf gerichteter Kamera verfolgen? Es scheint so, als würden sich die Leute daran laben …