Ottensen

Mein Ottensen, ein Quartier im Stadtteil Altona, ist im Wandel befindlich. Nicht unbedingt zum Guten. Man sieht es am Sterben der alteingesessenen Läden und an der neuen Klientel, die sich hier niederlässt. Man erkennt es aber auch an der Architektur. Ein für mich prägnantes und wichtiges Beispiel ist gleich bei mir um die Ecke zu finden.

Meine 80-jährige Nachbarin erzählte auf ihrem Geburtstag, wie es früher in Ottensen ausgesehen hat. Wir wohnen in einem roten Klinkerbau aus dem Jahre 1939 (kann auch ein oder zwei Jahre früher gewesen sein). Sie ist Erstmieterin. Das, was bei uns als Grünstreifen zwischen den Häusern durchläuft und das, was jetzt die Lisztstraße ist, das war damals und auch noch lange danach Ackerland. Die Anwohner in diesen alten Häusern nutzen ihr Umfeld zur Anzucht von Obst und Gemüse. Okay, das ist wirklich lange her! Die jetzige Behringstraße, dieses vierspurige, ständig lärmende Monster auf dem sich im Sommer die Motorradfahrer und ganzjährig die Jungs mit den zu kleinen Penissen (dafür haben sie dicke Wagen) Rennen liefern, war einst zweispurig. In der Mitte, so meine Nachbarin, gab es einen Grünstreifen, von kleinen Hecken gesäumt, die immer ordentlich gestutzt waren. Zwischen den Hecken konnten die Menschen zu Fuß gehen, mit dem Rad fahren oder den Karren ziehen. Heute fünf Minuten in der Mitte der Behringstraße — und das war das Letzte, was man auf Erden getan hat…

Kreuzkirche

Die Behringstraße wird unter anderem vom Hohenzollernring gekreuzt, der runter bis zur Elbchaussee führt. Von dort gelangt man mit einem Sprung direkt an die Elbe. Besonders ist hier noch die Kreuzkirche zu erwähnen, die mitten auf einer Verkehrsinsel steht. An der Front rauscht die Behringstraße vorbei, links und rechts der Hohenzollernring. Diesen gotischen Bau gibt es schon seit Ende des 19. Jahrhunderts. Damals sollte das Quartier erweitert werden und die Kirche bewusst zwischen zwei Straßen auf einer Insel stehen. Dass die Straßen allerdings solche Massen an Autos tagtäglich vorbeiführen, konnte man sich damals natürlich nicht denken.

Während einer Busfahrt hörte ich übrigens irgendwann einmal einen Mann zu seiner Begleitung referieren, dass der Klinkerbau damals die einzige privat finanzierte Kirche in der Gegend war. Ein reicher Kaufmann soll die Kirche zu Ehren seiner verstorben Frau erbaut haben. Ob’s stimmt, kann ich nicht sagen.

Bülowstraße und -stieg

Kommt man von der Behringstraße aus Richtung Autobahn, biegt rechts in den Hohenzollernring ein, fährt man zunächst an der Lisztstraße vorbei und dann an der Bülowstraße. Steht man hier am Anfang, hat man linker Hand das über 125 Jahre alte Gymnasium Altona (1) und rechter Hand eine Zeile sehr schöner Häuser mit hohen Zimmern (2). Das Ganze bietet einen netten Gesamtanblick. Etwas weiter rein in die Bülowstraße findet man angrenzend an die herrschaftlichen Wohnhäuser die für diese Gegend so typischen Rotklinker (3). Hinter der Schule findet man ebenfalls einen großen Rotklinker-Bau (4), der zum Kinderkrankenhaus gehört, das sich noch weiter dahinter befindet. Alles in allem eine typische Rotklinker-Wohngegend.

Gymnasium AltonaWohnhäuserWohnhausKrankenhausanbauSchulanbau

Doch genau an der Ecke Bülowstraße und Bülowstieg hat das benachbarte Gymnasium Altona seinen Gemüsegarten geplättet und einen Anbau hingesetzt (5). Die Schulkantine und weitere Chemie-Räume sollen hier Platz finden. Vor einigen Tagen wurden das Bauschild und die Verkleidung des neuen Gebäudes entfernt. Als ich das erste Mal daran vorbeifuhr, wäre ich fast vom Drahtesel gefallen.

Erwähnte ich schon das Wort „Rotklinker“? Mit diesem neuen Gebäude, das in der mittlerweile völlig übersehenen, „neuen Hamburger Architektur“ gestaltet ist, wurde ein absoluter Fremdkörper platziert! Das Haus passt hinten und vorn. nicht hierhin. Ja achtet denn niemand in der Baubehörde mal darauf, ob sich ein Bau in seine Umgebung einpasst oder nicht? Der hinlänglich bekannte Klotzbau, wie wir ihn aus der HafenCity kennen, mit einer ach-so-neckischen Wandverschiebung und sonst glatten Wänden. Eventuell, wie hier der Fall, noch eine Reminiszenz an Klinker – das war es auch schon.

Tut mir leid. Ein neues Gebäude soll her? Okay. Aber bitte so, dass es sich ins Stadtbild einpasst. Mir hängt diese „glatte Fassade“-Architektur, wie man sie in jüngster Zeit an allen Ecken Hamburgs sieht, absolut zum Hals heraus… :nene: