Freverts Paradies der gefälschten Dinge

Cover Niels Frevert - Paradies der gefälschten Dinge

Bewertung: 4.5 von 5

Es ist immer schön und man freut sich riesig, wenn Niels Frevert eine neue Scheibe rausbringt. Man denkt noch Wann bringt der bloß wieder mal etwas Neues?, schon kommt ein Bekannter und weist einen auf genau das Ereignis hin.

Eine Woche reinhören und hier ist die Kritik.

Das Album Paradies der gefälschten Dinge fängt an mit Nadel im Heuhaufen, das mit dickem Orchester daherkommt. Es spielen Klavier, Streichern und Bläsern. Nichts mehr mit Minimalismus. Ich weiß allerdings nicht, was ‚polnische Abgänge‘ sein sollen.

Weiter get es mit Das mit dem Glücklichsein ist relativ, das einfach ein wunderschönes Lied und die erste Auskoppelung ist. Das Lied bis zu einem gewissen Stand typisch Frevert, wenn es auch eine dicker aufgetragene Unterbrechung hat. Man hört Trompete, Vibraphone. Irgendwo ist dann die lang ersehnte Frevert-Gitarre im Hintergrund zu hören. Absoluter Gänsehaut-Moment des Stücks ist das

Und plötzlich wird meine Hand von deiner gehalten

Immer mehr Gitarre kommt ins Spiel. So bei Schwör zunächst alleine, dann abgelöst von Streichern. Ein sehr persönliches Lied. Sorry, aber wenn mir jemand eine Geschichte von einer psychiatrischen Anstalt singt, ist das nicht „irgendwo aus der Luft gegriffen“. Kein leichtes Thema, das hier präsentiert wird. Irgendwo las ich, Frevert sänge hier über einen Bekannten, der aufgrund von Problemen in der Anstalt sei.

In UFO besingt der Hamburger Sänger eine kleine, lustige Geschichte aus Hamburg. Es ist Kirchentag und Herr Frevert hat sich dazu so seine Gedanken gemacht. Und ein UFO schwebte senkrecht übern Kirchentag. Dieses UFO sorgte für viel Verwirrung.

Wieder Klavier und Streicher in Morgen ist egal, einem Lied über eine schwierige Beziehung. Dann mit einem wunderschönen, aufbäumenden Part, bei dem voll Bittersüße die Haare auf dem Arm in die Höhe gehen, so schön ist:

Ich hab‘ so lang auf dich gewartet.
Ich war traurig ohne Grund
auf den ich sinken konnt‘.

Nach so viel Schwere, dann ein beschwingteres Lied mit Speisewagen. Du bist erste Klasse, ich bin zweite. Zwei Menschen mit Schwierigkeiten, die zusammenzufinden. So ist das Leben. Da kann man nur hoffen, dass sie sich tatsächlich im Speisewagen finden.

Danach wird es schon wieder schwerer, langsamer. Alles muss raus ist ein wenig unharmonisch und schwer zugänglich. Schwer bis gar nicht. Das einzige Lied, zu dem ich nicht Zugang gefunden habe.

Muscheln wartet dann wieder mit einer Geschichte auf. Ja, es geht um die Weichtiere aus dem Titel. Naja, eigentlich nicht. Vielmehr dreht sich diese Geschichte um einen Unfall und darum, dass die Person, die die Muscheln gekauft hat, nun im Koma liegt. Beim Refrain geht das Herz auf und man möchte mit den Füßen aufstampfen und dem Kopf nicken. Alles gespickt mit Bläsern. Allerdings ist alles wieder dick aufgetragen.

Nicht zu viel Leichtfüßgkeit bitte. Die Abbiegung bringt einen runter, nicht in dunkle Gefilde, eher an die Rotwein-am-Kamin-Stimmung. Die Beziehung ist am Ende. Nun ist es Zeit für einen Neuanfang. Das ist hart, doch auch befreiend. Die Stimmung ist gut eingefangen.

Abschließend dann Gitarre pur. Der alte Frevelt ist zurück. Loch in der Atmosphäre zeigt, dass Freverts Stimme und eine Gitarre immer noch wirken und irgendwie nach all dem Pomp wünscht man sich mehr dieser Musik. Ein spartanisch eingesetztes Klavier ist noch erlaubt. Ich finde, du bist zu streng zu dir. Und wenn es das nur wäre.

Woher kommt der Wechsel in der Musik in Paradies der gefälschten Dinge? Vielleicht liegt es daran, dass Frevert nicht mehr beim Hamburger Label Tapete ist, sondern bei Grönemeyers Firma Grönland. Der Mann hat natürlich Geld und will auch welches haben. Vielleicht wirkt der Pomp ja? Man fühlt sich ein wenig an Burt Bacharach erinnert, so ausgefeilt und reich ist die Musik diesmal.

Wie schon beim Vorgänger Zettel auf dem Boden bleibt man am Ende der Platte mit dem Gefühl zurück, man hat ein großes Stück deutschen Pop gehört. Und doch ist es kein Pop. Pop wäre populär und zum Glück ist Frevert das nicht. So bleibt er sich auch trotz groß angelegtem Arrangement treu und muss nicht fürs Radio schreiben. Wir sind mit Frevert groß geworden und wollen mit ihm alt werden, dabei hoffen wir auf weitere so schöne Musik.